Tata Ronkholz
Der Name Tata Ronkholz ist vielen vor allem durch ihre Fotografien bekannt: die bekannten Büdchen-Serien, ihre Aufnahmen des Rheinhafens oder ihre Verbindung zur renommierten Foto-Klasse von Hilla und Bernd Becher an der Kunstakademie Düsseldorf. Weniger bekannt ist jedoch, dass Ronkholz bereits vor ihrem Studium bei den Bechers – und teils parallel zu ihrer fotografischen Karriere – als erfolgreiche Produktdesignerin und Innenarchitektin tätig war. Diese bisher kaum beachtete Phase ihres gestalterischen Schaffens eröffnet jedoch neue Perspektiven auf ihr späteres fotografisches Werk.
Vom gestalterischen Entwerfen zum fotografischen
Ronkholz’ ästhetisches Interesse an der formalen Organisation und Struktur des Alltäglichen beginnt nämlich nicht erst im Medium der Fotografie: Zwischen 1961 und 1965 absolvierte sie ein Studium an der Werkkunstschule Krefeld mit dem Schwerpunkt auf Raumgestaltung, Möbelentwurf und -konstruktion. Ihre Abschlussarbeit widmete sich der detaillierten innenarchitektonischen Planung eines Ladenkomplexes für Glas, Porzellan und Keramik – ein gestalterisches Thema, das sich Jahrzehnte später in ihrer fotografischen Auseinandersetzung mit Ladeneinrichtungen wiederfindet, bspw. in der Serie zur Weinhandlung Hubert Esser & Sohn in Köln (1983). War sie zunächst aktiv an der Gestaltung solcher Räume beteiligt, so verlagerte sich ihr Blick später in die Rolle der fotografischen Beobachterin: Mit der Kamera erfasste sie die ästhetischen Strukturen des Gebrauchs, die Ordnungssysteme und die oft übersehene Präsenz alltäglicher Interieurs – und führt so ihr gestalterisches Denken in einem anderen Medium fort.
Kunst, Design und Interieur: Ein fließender Übergang
Nach ihrer Ausbildung arbeitete Ronkholz zunächst im Einrichtungshaus Schröer in Krefeld und übernahm bald die Leitung der dazugehörigen Galerie 123. Das dort präsentierte Kunstprogramm zeigte konkrete, konstruktivistische und designbezogene Positionen. Unter Ronkholz’ Leitung wurden vermutlich Arbeiten von Camille Graeser ausgestellt – einem Maler, Grafiker und Designer, der als Wegbereiter der konstruktiv-konkreten Kunst der Nachkriegszeit gilt – sowie von Eugen Mahler, bekannt für seine Faltcollagen und Scharnierobjekte. 1967 entwickelte sich die Galerie unter der Leitung von Denise René und Hans Mayer zu einem eigenständigen Nukleus der internationalen Kunstavantgarde in Krefeld.
Ronkholz’ Nähe zur damaligen Kunstszene spiegelt sich auch in ihren eigenen Möbeldesigns wider, die sie unter anderem Anfang der 1970er Jahre als freiberufliche Produktdesignerin für die Firma habit entwarf. So etwa in der modularen Faltmöbelserie unit 11: Klappbare, wandelbare Module – streng im Design, flexibel in der Nutzung – verweisen auf eine reduzierte, konstruktivistische Formensprache, die deutliche Parallelen zur zeitgenössischen Kunst aufweist. Diese funktional durchdachte Ästhetik setzt sich nicht nur im Modus des Objekts selbst fort, sondern prägt auch den strukturellen Blick, den Ronkholz später in ihrer fotografischen Arbeit kultiviert, um Ordnungen, Systeme und Formen von Alltagsräumen sichtbar zu machen.
Wohnlandschaft und offene Räume
Ein weiteres Beispiel für Ronkholz’ reduzierte-klare Gestaltung ist die sogenannte Wohnlandschaft, ein flexibel gestaltbares System aus unterschiedlich hohen, veloursbezogenen Podien, das die Prinzipien eines offenen Wohnens aufgriff – einer seit den 1960er Jahren erstarkten Wohnkultur, die streng getrennte Raumfunktionen auflöste, fließende Übergänge zwischen den Bereichen des Alltagslebens förderte und die nutzer:innenzentrierte Gestaltung fokussierte. Die einzelnen Module ließen sich individuell kombinieren, um Räume flexibel an persönliche Bedürfnisse anzupassen – sei es als Schlafgelegenheit, Rückzugsort oder Treffpunkt. Schon hier zeigt sich Ronkholz’ Verständnis von Design als dynamischem Prinzip: Es ging ihr darum, Alltagsräume zu öffnen und deren Gestaltung als aktiven Prozess zu begreifen. Die begleitenden Produktfotografien der Wohnlandschaft, aufgenommen von Bernd Franck, präsentieren das modulare Möbelsystem in seiner Vielseitigkeit und zugleich als Teil eines erweiterten ästhetischen Konzepts: Wohnraum, Designobjekte und künstlerische Arbeiten erscheinen darin als zusammenhängende Einheit. In mehreren fotografischen Settings der Wohnlandschaft tauchen neben Ronkholz’ eigenen Entwürfen – etwa der Knickleuchte oder ihrer Kooperationsarbeit mit dem Lichtkünstler Adolf Luther – auch Werke von Josef Albers oder Herbert Oehm auf.
Die Luther-Leuchte: Kunst und Alltag verbinden
Besonders exemplarisch für das Zusammenspiel von Kunst und Design ist die sogenannte Luther-Leuchte, die Ronkholz gemeinsam mit dem Krefelder Künstler Adolf Luther entwickelte. Luther, bekannt für seine Hohlspiegelobjekte, beschäftigte sich zu jener Zeit zunehmend mit der Frage, wie sich Kunst in architektonische und alltägliche Kontexte einbinden lässt. Ihr gemeinsames Interesse galt der Schnittstelle von Kunst und Alltag: Die Luther-Leuchte und ein Rundtisch mit Hohlspiegel sind konkrete Ergebnisse dieser Zusammenarbeit. Luthers charakteristischer Hohlspiegel wurde dabei in Ronkholz’ klar gegliedertes, formal reduziertes Design eingebettet. Entstanden ist ein Objekt, das zwischen Kunst und Gebrauchsgegenstand vermittelt – was auch Ronkholz selbst deutlich machte. In einem Brief an Luther vom 26. Oktober 1970 schrieb sie: „Der Vertrieb dieser Luther-Lampe soll Sammler, Galerien und Möbelhäuser treffen.“ Die wenigen erhaltenen Produktaufnahmen der Leuchte verdeutlichen Ronkholz’ Faszination für eine fast graphische, linienorientierte Formfindung im Design – eine klare, präzise und funktionale Ästhetik.
Formalästhetische Konstanten zwischen Design & Fotografie
Viele der fotografischen Prinzipien, die Tata Ronkholz in ihrem späteren Werk verfolgte – serielle Strukturen, formale Klarheit, die Betonung von Oberflächen und Linien – haben ihre Wurzeln in ihrer gestalterischen Praxis. Diese formalen Konstanten spiegeln sich besonders deutlich in ihren fotografischen Serien wider – etwa in den Aufnahmen von Industrietoren oder den Innenräumen des Rheinhafens. Auch dort richtet sich Ronkholz’ Blick auf die strukturellen Linien, Flächen und Formen industrieller und alltäglicher Architektur. Ihre Tätigkeit als Produktdesignerin und ihr fotografisches Schaffen sollten daher nicht als getrennte Kapitel verstanden werden, sondern als zwei miteinander verflochtene biografische Stränge, deren Verbindung noch weiter zu erforschen ist.
Dieser Text ist eine geänderte und gekürzte Fassung des Katalogbeitrags: Reich, Julia: Tata Ronkholz – Grenzgänge zwischen Design, Kunst und Photographie, in: Tata Ronkholz. Gestaltete Welt. Eine Retrospektive, hrsg. v. Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur in Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum Düsseldorf und VAN HAM Estate, Schirmer/Mosel: München 2025, S. 219–225.
Tata Ronkholz, Polster Wohlandschaft, habit, aus Podienmodulen, 1970er Jahre
Tata Ronkholz und Adolf Luther, Luther-Leuchte, 1970/1971
Tata Ronkholz-Tölle, Faltwand unit:11, habit, 1970er Jahre
(Version 1)
Tata Ronkholz-Tölle, Faltwand unit:11, habit, 1970er Jahre
(Version 2)
Tata Ronkholz-Tölle, Faltwand unit:11, habit, 1970er Jahre
(Version 3)
Tata Ronkholz-Tölle, Faltwand unit:11, habit, 1970er Jahre
(Version 4)
Tata Ronkholz-Tölle, Faltwand unit:11, habit, 1970er Jahre
(Version 5)